Geschenke ohne Grenzen

Die Firma Genex

Wirtschaftliche Unterschiede nach dem Krieg

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die drei westlichen Besatzungszonen und die sowjetische Besatzungszone wirtschaftlich sehr unterschiedlich. Vor allem die USA verfolgten die Strategie, dass das zerstörte Europa nur dann wieder auf die Beine käme, wenn es mittelfristig wirtschaftlich unterstützt werden würde. Sie verzichteten auf fast alle Reparationsforderungen und investierten allein mit dem Marshallplan 1,4 Mrd. Dollar in die westlichen Besatzungszonen und später in die BRD. Hinzu kamen Handelswaren aus amerikanischer Überproduktion, die durch das wirtschaftliche Wachstum Westdeutschlands einen Abnehmer fanden und hier das „Wirtschaftswunder“ greifbar machten.

Die Menschen in der sowjetischen Besatzungszone hingegen zahlten die Strafe für den von Hitler begonnenen Krieg: Die Sowjetunion beglich ihre gewaltigen Kriegsschäden mit dem Abtransport großer Teile der Schwerindustrie, der Übereignung wichtiger Betriebe in sogenannte Sowjetische Aktiengesellschaften und dem Abbau von fast der Hälfte aller Eisenbahngleise. Die DDR gab bis 1953 bis zu 48 Prozent ihres jährlichen Bruttosozialproduktes an die Sowjetunion ab, zusammen etwa 99 Mrd. DM. Das waren 97 Prozent aller insgesamt gezahlten Reparationsleistungen aus Deutschland. Die Wirtschaft der SBZ litt zudem unter der fast vollständigen Enteignung privatwirtschaftlicher Unternehmen. Während der Westen florierte, ging der Osten an den vielfältigen Belastungen bis 1953 fast bankrott.

Insbesondere im Bereich der Konsumgüter war die BRD aus den genannten Gründen dem Osten massiv überlegen. Sehr schnell befriedigte der Kontakt zwischen den Menschen das Hilfebedürfnis der Westdeutschen und die Entbehrungen der Ostdeutschen. Die Folge waren Paketaktionen der Kirche, Geldsendungen mit der „harten“ D-Mark und ein blühender Warenschmuggel. Die DDR-Regierung hatte von Anfang an alle Hände voll zu tun, ihr eigenes Überleben zu sichern und ihre politische Existenz zu legitimieren. Da waren die begehrten Westpakete trotz der Versorgungsleistung schlechte Werbung für den Sozialismus. Darum bemühte sie sich Anfang der 50er Jahre um eine kontrollierte Kanalisierung des Warenverkehrs und beschränkte die „Einfuhr“ westlicher Konsumgüter.

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Genex und die Beschränkung der Westgeschenke

Bei der Beschränkung der Westpakete verfolgte die DDR offenbar auch wirtschaftliche Interessen. Denn obwohl sie Anfang der 50er Jahre den Geschenkverkehr über den normalen Postweg einschränkte, bot sie gleichzeitig unbegrenzte und zollfreie Geschenke über ihre Handelsorganisation (HO) an. Über die HO konnten Westdeutsche unbegrenzt Lebensmittelpakete an ostdeutsche Adressen liefern lassen. Zur Optimierung dieses Handels wurde zum Jahreswechsel 1956/57 die „Geschenkdienst und Kleinexport GmbH“ gegründet – kurz Genex. Mit diesem ganz offiziellen Warenhandel für Genschenke von West nach Ost fuhr die DDR mehrere Strategien: gekauft werden durften nur hochwertige Waren aus DDR-Produktion und bezahlt werden musste in D-Mark. Die parallele Gewichts- und Mengenbegrenzung der Paketgeschenke sollte die Auftragslage zusätzlich verbessern. Denn mit Genex profitierte die DDR doppelt: Sie stellte ihre eigenen Produkte, die zu Inlandspreisen und von in DDR-Mark entlohnten Arbeitern hergestellt wurden, quasi als Exportgüter zur Verfügung und konnte mit ihnen Devisen aus dem Westen verdienen. Der Zielort des „Exportguts“ war jedoch eine Adresse in der DDR, wo wiederum eine Versorgungslücke gestopft wurde.

Was paradox klingt, kann an einem Beispiel erklärt werden: Ein westdeutscher Käufer wählte aus dem Genex-Katalog aus Haushaltsgeräten, Möbeln, Hausrat, Spielzeug, elektrischen Geräten, Wohnwagen, Autos oder gar Fertighäusern ein Farbfernsehgerät aus, bestellte es bei Genex, bezahlte es in D-Mark und gab eine Lieferadresse in der DDR an. Innerhalb von sechs bis acht Wochen, bei Engpässen mehr, bekam der Adressat einen Bescheid, wo er sich das Produkt abholen kann, oder das Gerät frei Haus. Auch Teile des „Kirchengeschäfts A“ (siehe auch Beitrag Kirchenpartnerschaften) wurden über Genex abgewickelt.

Mit dem Mauerbau 1961 und der vollständigen Abgrenzung der DDR von der BRD wurde das Geschäft mit Genex sogar ausgebaut, weil vor allem größere Industrieprodukte nicht mehr so einfach über die Grenze kamen. Es gab noch ein weiteres Dilemma. In der BRD, im Land der eigentlichen Zielgruppe, konnte die Genex aus politischen und devisenrechtlichen Gründen keine Außenstelle einrichten. Die Wechselkurs-Gewinne wären sonst verloren gegangen. Darum engagierte sie für die Abwicklung der Kundenakquise und des Kaufvorgangs die Firmen Jauerfood AG in Dänemark und Palatinus AG in der Schweiz. Sie brachten die Genex-Kataloge in der BRD und im westlichen Ausland heraus und fungierten als Warenhaus. In der DDR trat Genex noch weniger in Erscheinung. Die Kataloge durften nicht eingeführt werden und waren in nur drei Beratungsstellen einsehbar – in Berlin, Rostock und Leipzig. Wahrscheinlich sollte den Bürgern der DDR nicht vor Augen geführt werden, zu was ihre Güterproduktion eigentlich in der Lage sein könnte und was der Staat mit ihr nebenbei verdient.

Genex-Katalog

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Genex – offiziell privilegiert sein

Die westdeutschen Bürger nutzten die Geschenke über Genex, um den Kontakt nicht zu verlieren und ihren Verwandten in der DDR zu helfen. Für die Ostdeutschen hatte Genex viel weiterreichendere Vorteile: Der Konsumgütermarkt in der DDR war bis zum Schluss geprägt von Mangelwirtschaft. Nie verstand es die sozialistische Planwirtschaft, die Konsumwünsche der eigenen Bevölkerung in ausreichendem Maße zu erfüllen. Die Folge waren lange Wartezeiten auf bestimmte Produkte oder seltene „Bückware“, also Waren, die man nur mit entsprechenden Beziehungen zum Ladenbesitzer „unter dem Ladentisch“ erhalten konnte.

Genex löste dieses Problem. Da die Produkte in Devisen bezahlt wurden, räumten die Planer der Herstellung und Auslieferung dieser Waren Priorität ein. Betrug also beispielsweise die Wartezeit auf einen ostdeutschen PKW wie Trabant oder Wartburg weit über zehn Jahre, so wurde das Fahrzeug bei Bestellung und Bezahlung über Genex binnen weniger Monate ausgeliefert. Paradoxerweise wurde damit Mangel mit Mangel ausgeglichen. Denn war ein bestimmtes DDR-Produkt gerade rar, dann stieg auch die Nachfrage bei Genex, wo das Produkt aber ebenso wenig vorrätig war.

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Darum weitete Genex das Angebot in den 70er und 80er Jahren immer weiter aus, vor allem auf westliche Produkte. Ob Etagenheizungen, Fertigteilhäuser, Motorboote, Musikinstrumente oder Reisen, es gab nichts, was es nicht gab. Zu den Automarken zählten unter anderem Volkswagen, Ford und Renault. Mit der allgemein verbesserten Versorgungslage stiegen auch die allgemeinen Ansprüche der DDR-Bürger an hochwertige Produkte. Ab 1976 wurde das Schenken über Genex mit dem „Selbstkaufverfahren“ vereinfacht, durch das Gutscheine möglich waren. Mit denen konnte man selbst losgehen und seine Produkte beim Kauf „nach Wahl des Empfängers“ auswählen. Wer also Westverwandtschaft oder -bekanntschaft hatte, konnte deutlich schneller an Konsumgüter kommen. Und für die zahlenden Brüder und Schwestern waren die Waren deutlich billiger als vergleichbare in den Regalen des eigenen Landes.

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Doch wer in der DDR in den Genuss der Westgeschenke kam, musste auch spürbare Nachteile erfahren, vor allem wenn Nachbarn oder Bekannte zuerst mit Neid auf die neuesten Waren blickten. In erster Linie aber sorgten die offensichtlichen privaten Beziehungen in die BRD für Misstrauen bei der SED. Ihr Überwachungsapparat warf stets ein zusätzliches Auge auf die Adressaten der Westprodukte, obwohl gerade die SED als offizielle „Besitzerin“ erheblich von Genex profitierte.

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Genex und die wirtschaftliche Bedeutung

Die sozialistische DDR wollte insbesondere nach ihrer internationalen Anerkennung 1972 den Außenhandel mit dem kapitalistischen Ausland deutlich steigern. Dabei entsprachen die Exportgüter im Laufe der Jahrzehnte immer weniger dem Weltmarktniveau. Waren in den 50er Jahren selbst Autos wie der Wartburg im westlichen Ausland beliebt und sorgten für Exporteinnahmen, musste die DDR besonders in den 70er und 80er Jahren bei der Erlangung von Devisen auf politische Tauschgeschäfte oder den Wechselkurs zur DDR-Mark setzen. Dabei spielten die geringen Personalkosten eine große Rolle, wurden diese doch in DDR-Mark bezahlt. Einige Unternehmen wie die Spedition Deutrans oder die Deutsche Seerederei (DSR) konnten so ihre Dienste zu guten Konditionen auch im Westen anbieten. Hinzu kamen Devisen gegen politische Zugeständnisse wie Reisefreiheit oder gar Haftentlassungen. All das, auch Genex, wurde dabei von einer „Firma“ organisiert: dem Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo).

Alexander Schalck-Golodkowski,
März 1988

Bundesarchiv / Bild 183-1988-0317-312 / CC-BY-SA

Diese von Alexander Schalck-Golodkowski geführte Abteilung im DDR-Außenhandelsministerium wurde 1966 gegründet und sollte mit verschiedensten Auslandsgeschäften möglichst viele Devisen einbringen. Sie war dem ZK der SED um Erich Honecker direkt unterstellt und wurde von der Staatssicherheit kontrolliert. Honeckers Wirtschafts- und Sozialpolitik zur Verbesserung der Lebensverhältnisse verschlang Unsummen, die Schalck-Golodkowski mit Zusatzeinnahmen aus Devisengeschäften ausgleichen sollte. Ende der 80er Jahre ging es dabei aber immer mehr ums Überleben der DDR. Auf diesem Wege baute er ein ganzes Wirtschaftsimperium auf, mit letztendlich 170 Unternehmen und mehr als 3.100 Mitarbeitern im In- und Ausland. In der Zeit ihres Bestehens erwirtschaftete die KoKo zwischen 27 und 30 Mrd. DM. Genex war Teil dieser Geschäfte. Zusammen mit der Intershop-Kette wurden von 1971 bis 1989 mehr als 9 Mrd. DM eingenommen. Die jährlichen Genex-Umsätze lagen in den 80er Jahren bei etwa 200 Mio. DM, auch wenn die Zahlen ab 1986 kontinuierlich sanken.

Intershop

Bundesarchiv / B 145 Bild-00165386 / CC-BY-SA

Interview

Zusatzinformationen

Begriffe

Kommerzielle Koordinierung (KoKo)
Der Bereich Kommerzielle Koordinierung (auch unter der Kurzform KoKo bekannt) war eine 1966 im Ministerium für Außenhandel der DDR eingerichtete Abteilung, die vor allem der Beschaffung von Devisen diente. Die KoKo koordinierte sämtliche Devisengeschäfte mit der BRD: Transitpauschalen, Häftlingsfreikauf, Abfallentsorgung in der DDR, Post- und Fernmeldeverkehr und mehr. Sie beschaffte zudem Technologien und Waren, die auf der „Embargoliste“ des Westens standen und damit für die DDR auf dem freien Markt nicht erhältlich waren. Zum Aufgabenbereich gehörte neben dem Geschenkdienst Genex und den Intershops, den Geschäften an Transitstrecken in der DDR, in denen ausschließlich mit DM bezahlt werden konnte, auch ein weit verzweigter Kunst- und Antiquitätenhandel. Während ihres Bestehens konnte die KoKo etwa 30 Milliarden DM erwirtschaften und unterhielt etwa 170 Unternehmen mit ca. 3.100 Mitarbeitern in der DDR und im westlichen Ausland. Leiter der KoKo war Alexander Schalck-Golodkowski, der im Dezember 1989 in die BRD flüchtete und 1990 an den Tegernsee zog.

Fakten

KoKo-Firmen, Gewinne in Mrd. VM

Umfang des Jugendaustausches auf Basis des Kulturabkommens (1986) zwischen DDR/BRD:

Firma Geschäftsbereich Zeitraum Gesamtbetrag
Intrac Rohstoffe, Börse, Müll 1967-1989 12,5
Forum Intershop / GENEX 1971-1989 ca. 9
Transinter  Vermittlung Im/Export 1969-1983 3,7
BIEG Im/Export z.B. Schuhe, Textilien 1977-1989 unter 1,0
IMES Waffen u.a. 1982-1989 0,7
  Kunst & Antiquitäten 1973-1989 0,3
GESAMT ca. 27,2 Mrd. VM

 

Umsatz GENEX (in Mio. DM)

1967 1971 1975 1980 1986 1988 1989
44 82 126 188 217 202 201

Literatur

Christian Härtel/Petra Kabus: Das Westpaket. Geschenksendung, keine Handelsware. Berlin, 2000.

Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski – Mythos und Realität. Berlin, 2013.

Ina Merkel: Utopie und Bedürfnis. Die Geschichte der Konsumkultur in der DDR. Köln, 1999.

Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Berlin, 1998.