Kunst als Mittler?

Künstleraustausch zwischen der DDR und der BRD

Der Schock des Hitlerfaschismus

Die Kulturpolitik in den beiden deutschen Staaten unterschied sich von Beginn an darin, dass sie in der DDR staatlicher Einflussnahme und Zensur unterlag, in der Bundesrepublik Deutschland aber nicht. Kunst und Kultur hatten aber unabhängig davon einen gemeinsamen Ausgangspunkt: eine große Geschichte und die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Bruch durch den Hitlerfaschismus nach 1945. Einerseits dienten viele Künstler dem Nazi-Regime, andererseits führten Emigration und Ermordung von Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern zu einem nie dagewesenen intellektuellen Aderlass. „Stunde Null“ und Kontinuität prägten ambivalent Kunst und Kultur im besetzten Deutschland. Es galt wieder aufzubauen, eine Sprache zu finden und einen Weg der Auseinandersetzung mit dem Grauen und der eigenen Rolle darin. Denn: wie hatte die Heimat von Goethe und Schiller einen so grauenvollen Nationalsozialismus hervorbringen können, der in Völkermord und einem Krieg mit über 65 Millionen Toten gipfelte?

Glasmosaik im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR

© Hoferichter & Jacobs

Auf beiden Seiten ging es zunächst um die Abkehr vom zerstörerischen Nationalsozialismus und die Zuwendung hin zum Aufbau einer gesellschaftlichen Bildungskultur. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) war die Auseinandersetzung eine von der Politik geforderte Aufgabe an die Kultur: „Nie wieder!“ war das Motto. Viele Künstler nahmen diese Aufgabe aus persönlichem Antrieb sehr ernst – es gab sogar einige (mehrheitlich kommunistisch geprägte) Künstler, die aus ihrem Exil direkt in die SBZ gingen, um dort ihre Vorstellungen von einem Neuanfang umzusetzen. Die sowjetischen Besatzer förderten eine freie und unabhängige Kunst in ihrer Besatzungszone, richteten selbst in kleinen Orten Kulturhäuser ein und subventionierten die Eintrittspreise. Man versuchte, sich dabei auch von der überteuerten Konsumkultur des Westens abzugrenzen. Dies führte zu einer ungewöhnlichen Aufbruchsstimmung in Literatur, Film, Theater und bildender Kunst. Sie wurden zu einem wichtigen Teil der Gesellschaft, dienten aber immer mehr nicht nur der „antifaschistischen“ sondern auch der sozialistischen und anti-westlichen Erziehung.

Berlin, Ausstellung zum 10. Jahrestag der Gründung der DDR 1959

Bundesarchiv Bild 183-67740-0046 / Löwe / CC-BY-SA

Im Westen wurde diese Politik der „re-education“ ideologiefreier geführt, wiewohl die Fixierung auf einen Antikommunismus insbesondere der Amerikaner auch hier die eigentliche Fokussierung immer mehr verschob. Die Wiedereröffnung kultureller Einrichtungen im Westen war gelegentlich wichtiger, als die braune Vergangenheit der Kulturschaffenden. So konnten mit Gustaf Gründgens (ab 1947 Generalintendant in Düsseldorf) und Heinz Tietjen (ab 1948 Intendant der Deutschen Oper Berlin) Kunst-Propagandisten der Nazizeit im Westen wieder Fuß fassen. Im großen Gegensatz dazu bezog sich die westdeutsche Malerei in den 50er Jahren auf die von den Nazis „entartet“ genannte Kunst. Die Nachkriegsliteratur der BRD baute einerseits ebenso auf Werte der Zwischenkriegszeit und andererseits auf junge Nachwuchsautoren, die sich für einen moralischen Wiederaufbau einsetzten.

Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht und seine Frau Margot besuchen eine Tomski-Ausstellung

Bundesarchiv Bild 183-J0206-0018-001 / CC-BY-SA

Kunst als Erfahrungswelt der anderen Seite

Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 wurde die jeweilige Kultur auf feste Füße gestellt. Im Westen garantierte das Grundgesetz im Art. 5 die Freiheit der Kunst und die Künstler durften diese Freiheit in einer demokratischen, pluralistischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaft ausloten. In der DDR hingegen sollten Literatur und Kunst dem „Aufbau des Sozialismus“ dienen, wurden dabei stark von der Politik beeinflusst und immer mehr zensiert. Kulturschaffende mussten in entsprechende Verbände eintreten, um überhaupt arbeiten zu können, hatten dadurch jedoch einen abgesicherten Lebensunterhalt. Der zentrale „Kulturbund der DDR“ versuchte ideologisch auf die Kunst einzuwirken, diese wehrte sich und schaffte es, sich als kritisches Moment im Land zu etablieren. Filme, Bücher, Theaterstücke aber auch bildende Kunst wurden von DDR-Bürgern mit der Fähigkeit des „Zwischen-den-Zeilen-Lesens“ konsumiert. Die hohe Subventionierung von kulturellen Einrichtungen führte bis zum Ende der DDR zu einer sehr starken Kulturnutzung durch die Bürger.

Kulturelle Einrichtungen in der DDR 1989:

  • 13.545 staatliche Bibliotheken und 3.846 weitere
  • 861 Kultur- und Klubhäuser
  • 805 Kinos
  • 751 Museen
  • 217 Theater
  • 87 Orchester

Haus der Lehrers / Berlin

© Hoferichter & Jacobs

Obwohl sich die deutsche Teilung wirtschaftlich und politisch immer mehr vertiefte, hielten die deutschen Künstler bis weit in die 50er Jahre an einer gesamtdeutschen Perspektive fest. Anfang der 50er Jahre wurden von Künstlern beider deutscher Staaten noch gemeinsame Kongresse veranstaltet und es gab viele gegenseitige Besuche von Theatern, Orchestern und Chören sowie „Gesamtdeutsche Musikfeste“. Der rege Austausch zu Fragen von Kunst, nationaler Einheit und politischen Konzepten wurde immer stärker zu einem gegenseitigen Erfahrungsraum in einem politisch immer mehr auseinander driftenden Deutschland.

Diese Begegnungsmöglichkeiten kamen mit dem Mauerbau 1961 weitgehend zum Erliegen. Die DDR zensierte zunehmend die Einfuhr von künstlerischem Gut aus dem Westen und versuchte sich mit der Schaffung einer eigenständigen „sozialistischen Nationalkultur“ von der BRD abzugrenzen. Dort aber nutzte die DDR die Informationsmöglichkeiten von Kunst und Kultur mit Veröffentlichungen und Auftritten eigener Künstler als willkommene Devisenquelle. Dabei kam es aber auch vermehrt zu Zensur und Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Die stark verknappten Austauschmöglichkeiten erzeugten eine große Neugier auf beiden Seiten. Die BRD wurde für viele DDR-Künstler, Schriftsteller, Theatermacher, Schauspieler oder Musiker zu einem Sehnsuchtsort künstlerischer und politischer Freiheit, vor allem zur Zeit der 68er-Bewegung. Im Spannungsfeld zwischen Freiheit und staatlicher Einschränkung in beiden Staaten drängte sich ein künstlerischer Dialog geradezu auf, war jedoch nur privat möglich und wurde von Seiten der DDR massiv überwacht.

Erich Honecker und Will Sitte bei der X. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1987

Bundesarchiv / Bild 183-1987-1003-024 / Bernd Settnik / CC-BY-SA

Aufbruch 1973 und Kulturabkommen 1986

„Wandel durch Annäherung“ – die Politik der Bundesregierung am Anfang der 70er Jahre brachte auch Bewegung in die erkalteten kulturellen Beziehungen. In der DDR gab es ab 1971 unter dem neuen Staatschef Erich Honecker und im Zuge der Weltfestspiele in Ostberlin 1973 gewisse Liberalisierungstendenzen in der Kultur. Anfangs waren es vereinzelte Begegnungen: Konzerte von DDR-Musikern in der BRD, Teilnahme von DDR-Künstlern an der documenta in Kassel 1977, Auftritte der Berliner Philharmoniker unter Karajan in Dresden, Gastspiele der Westberliner Schaubühne in Chemnitz, Retrospektiven von Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer oder Bernhard Heisig im Westen und Beiträge des jeweils anderen Staates auf Filmwochen. Autoren wie Anna Seghers, Christa Wolf oder Christoph Hein wurden im Westen verlegt. Doch die vermeintliche Öffnung wurde 1976 von Wolf Biermanns Ausbürgerung überschattet. Der Ostberliner Liedermacher kritisierte die DDR-Führung auf einem Konzert in Köln allzu deutlich und durfte nicht mehr in die DDR zurückkehren. Künstler in beiden Staaten, insbesondere aber DDR-Künstler zeigten ihren Unmut in einer bis dahin nie dagewesenen Solidarität mit Biermann. Die SED reagierte mit massivem Druck – viele Künstler verließen daraufhin die DDR.

Wolf Biermann bei einem Konzert in Leipzig

Bundesarchiv / Bild 183-1989-1201-046 / CC-BY-SA

Der Künstleraustausch der 70er Jahre war auch ohne ein Kulturabkommen zwischen BRD und DDR entstanden, wie es die BRD schon mit anderen Staaten geschlossen hatte. Trotzdem war aufbauend auf dem Grundlagenvertrag von 1972 solch ein Abkommen für die kulturelle Zusammenarbeit geplant. Aber die ersten Verhandlungen scheiterten 1975 an der geforderten Rückübertragung preußischer Kulturgüter an die DDR-Museen und an der Definition einer „nationalen Kultur“. Erst ab 1983 kam es durch die Initiative Erich Honeckers zu erneuten Verhandlungen, die am 6. Mai 1986 im Kulturabkommen zwischen der DDR und der BRD mündeten. In diesem Abkommen wurden 100 Projekte aus unterschiedlichen Bereichen der Kultur verbindlich verabredet. Dazu gehörten gegenseitige Buchausstellungen in mehreren Städten, Ausstellungen zeitgenössischer Malerei, Abschluss von Universitätspartnerschaften, ein Praktikantenaustausch-Programm, intensive Theater- und Musikbegegnungen und sogar Kooperationen im Bibliothekswesen. Es kam in der Folge zu einer Verfünffachung der bis dahin staatlich geförderten Austausch-Veranstaltungen.

Parallel hatten die Jahre der politischen und kulturellen Abgrenzungspolitik zu einem enormen Stau geführt: der Drang, sich endlich kennenzulernen und auszutauschen, war groß. Der Nachholbedarf in der Diskussion wechselseitiger künstlerischer Entwicklungen war enorm. Die Sprachlosigkeit hatte auch zu unterschiedlichen Lebens- und Kunstwelten geführt – man fand nicht sofort eine gemeinsame Sprache wieder. Vielleicht kam das Abkommen so kurz vor der friedlichen Revolution auch ein wenig zu spät, um seine Kraft zu entfalten. Und so konstatierte das Innerdeutsche Ministerium im März 1989: „Unkenntnis des jeweils anderen: Trennung spürbar [...] Man versteht einander in den jeweils internen Schwierigkeiten nur nach einer Lernzeit. Kritik [am Kulturaustausch]: Von der Orthodoxie bis zu den Alternativen. Den einen geht der Austausch zu weit (eigene Identität relativiert), den anderen geht er nicht weit genug (nur staatlich genehmigte Kunst beider Seiten). [...] Wichtig: Es handelt sich um eine Lernzeit [...] Hoffnung, daß auch in der DDR Glasnost/Perestroika in absehbarer Zeit eine freiere Kommunikation ermöglichten.“

Bild an der East Side Gallery, Berlin

© Hoferichter & Jacobs

Tatsächlich setzte die kulturelle Öffnung in der Sowjetunion unter dem Schlagwort Glasnost auch die Machthaber in der DDR unter Druck. Was seit 1985 an Kunst, Literatur und Film aus der Sowjetunion kam, war der DDR-Führung ein Dorn im Auge und der Bevölkerung ein Vorbild, wie Kultur sein sollte – offen und ehrlich. So spielten Künstler im Prozess der friedlichen Revolution eine große Rolle und unterstrichen den gewaltfreien Protest. Zum Beispiel setzte sich der international renommierte Dirigent Kurt Masur in Leipzig für einen friedlichen Dialog zwischen Bürgerbewegung und SED ein. Auf der größten nichtstaatlichen Demonstration in der Geschichte der DDR am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz sprachen sich bedeutende Schriftsteller, Schauspieler und Theatermacher für Demokratie und Transparenz aus. Doch die gewachsene gegenseitige „Unkenntnis“ blieb auch nach der friedlichen Revolution eine Hypothek zwischen den Künstlern aus beiden deutschen Staaten. Die getrennte Entwicklung und die verschiedenen gesellschaftspolitischen Auffassungen wirken bis heute nach.

Christoph Hein auf der Demonstration in Berlin am 4.11.1989

Bundesarchiv Bild 183-1989-1104-051 / Hubert Link / CC-BY-SA

Interview

Zeitstrahl

8.8.1945 Gründung des Kulturbundes in der SBZ, der zunächst als interzonaler Kulturbund angelegt war, aber spätestens ab 1949 einer sozialistischen Kultur in der DDR dienen sollte
1949 Gründung der BRD und der DDR: In der BRD ist die Kunst nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz frei. Auch in der Verfassung der DDR wird das so formuliert, in der Praxis hingegen nicht umgesetzt. Künstler müssen Verbänden beitreten und werden politisch immer mehr beeinflusst und kontrolliert.
17.6.1953 Arbeiteraufstand gegen wirtschaftliche Missstände und politische Unterdrückung in der DDR
24.4.1959 Autorenkonferenz in Bitterfeld propagiert den „Bitterfelder Weg“ für ein Integration von Arbeiterschaft und Kunst: „Greif zur Feder, Kumpel!“
Dezember 1965 11. Plenum des ZK der SED, in dem die SED den Künstlern der DDR vorwarf, die sozialistische Entwicklung nicht ausreichend zu unterstützen. Dieses sogenannte „Kahlschlagplenum“ führte zu einer weitreichenden Zensur des aktuellen und zukünftigen kulturellen Schaffens.
Ab 1970 „Wandel durch Annäherung“: die Entspannungspolitik Willy Brandts führt zu einer Zusammenarbeit zwischen der BRD und der DDR auch im kulturellen Bereich. Auf Seiten der DDR kommt es im Rahmen der „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ 1973 in Ostberlin zu einer kurzzeitigen kulturellen Liberalisierung.
1973 bis 1975 Erste Verhandlungsrunden über ein Kulturabkommen zwischen der DDR und der BRD scheitern.
November 1976 Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR. Es folgen massive Proteste der DDR-Künstler und eine anschließende Ausreisewelle.
1983 bis 1986 Wiederaufgenommene Verhandlungen über ein deutsch-deutsches Kulturabkommen
6. Mai 1986 „Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über kulturelle Zusammenarbeit“

Zusatzinformationen

Begriffe und Personen

Bitterfelder Weg

1959 fand im Chemischen Kombinat Bitterfeld eine Autorenkonferenz statt, auf der die Forderung erhoben wurde, eine eigenständige „sozialistische Nationalkultur“ in Abgrenzung zum Westen zu schaffen. Unter dem Motto: „Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!“ sollten dabei Schriftsteller und Künstler eine Zeit lang in Betrieben und Fabriken arbeiten und Arbeiter bei einer eigenen künstlerischen Tätigkeit anleiten. Dieses Vorhaben wurde nur zum Teil umgesetzt, weil viele DDR-Künstler die starke Ideologisierung sowie die Vermischung von Hochkultur und Laienkultur ablehnten.

Literatur

Carsten Kretschmann: Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im geteilten Deutschland. Bonn, 2012.

Hermann Glaser: Deutsche Kultur. Ein historischer Überblick von 1945 bis zur Gegenwart. Bonn, 1997.

Martin Damus: Kunst in der BRD 1945-1990. Funktionen der Kunst in einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Reinbek, 1995.

Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Leipzig, 1996.

Ralf Schenk: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992. Berlin, 1994.

Sebastian Lindner: Mauerblümchen Kulturabkommen, Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/53911/kulturabkommen?p=all, aufgerufen am 5. März 2014