Vier Autobahnen nach Berlin

Transitstrecken und ihre Bedeutung

Zwischen den Zonen mit dem Interzonenpass

Mit Ende des 2. Weltkrieges und der Schaffung der vier Besatzungszonen in Deutschland wurde die Reisefreiheit deutscher Bürger innerhalb des ganzen Landes eingeschränkt. Alle Besatzungsmächte wollten grundsätzlich wissen, wer ihre entsprechende Zone betrat und verließ, und führten Passierscheine ein. Hierbei stellte die Lage Berlins ein Problem dar, weil die Stadt genau wie das übrige Deutschland in drei, später vier Besatzungszonen aufgeteilt wurde, aber mitten in der Sowjetischen Zone (SBZ) lag. Wenn beispielsweise die amerikanischen Besatzer zwischen ihren Zonen verkehren wollten, war eine Zusammenarbeit mit den sowjetischen Besatzern nötig.

Autobahngrenzkontrollpunkt Marienborn, 1954

Bundesarchiv / Bild 183-25607-0005 / Junge / CC-BY-SA

Um den Verkehr zwischen den Zonen zu vereinheitlichen, führten die Alliierten 1946 auf Wunsch der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) gemeinsam einen so genannten „Interzonenpass“ ein. Dieser Pass löste den Passierschein in allen Besatzungszonen ab. Er musste beantragt werden, galt 30 Tage und ermöglichte Reisen zwischen den Zonen. Die amerikanische und die britische Besatzungszone hoben den Passzwang schon einen Monat später wieder auf und strebten ein einheitliches Wirtschaftsgebiet im Westen an (Bizone). Die französische Besatzungszone schloss sich dieser Regelung zwei Jahre später ebenfalls an (Trizone). Das Zusammengehen der westlichen Zonen geschah analog in Westberlin, wodurch es immer mehr zu einer westlichen Exklave innerhalb der SBZ wurde. Denn die sowjetischen Besatzer bestanden weiterhin auf den Interzonenpass für den Verkehr zwischen den Westzonen und Westberlin und kontrollierten ihn immer mehr und immer willkürlicher.

Dieser Verkehr kam mit der Berlin-Blockade fast komplett zum Erliegen: Um politischen Druck auf die westlichen Alliierten auszuüben, blockierte die SBZ im Juni 1948 alle Land-, Schienen- und Wasserwege nach Westberlin. Der Personen- und Güterverkehr konnte für fast ein Jahr nur noch über den Luftverkehr bedient werden, wobei Lebensmittel und Heizkohle wichtiger waren als Personen. Mit der sogenannten „Berliner Luftbrücke“ verdienten sich die Amerikaner einen guten Ruf in der Bevölkerung. Als die Berlin-Blockade im Mai 1949 endete und man zum Vorzustand beim Verkehr zurückkehrte, musste den Westalliierten klar gewesen sein, dass die SBZ nun „Transitland“ ist, zumal die Gegenseite die erlaubten „Transitstrecken“ selbst festlegte. Als „Transitverkehr“ gilt eigentlich der Personen- und Güterverkehr zwischen zusammengehörigen Gebieten eines Staates. Da beide Seiten aber selbst nach den Gründungen zweier Staaten von einer Zusammengehörigkeit Deutschlands ausgingen und die BRD die DDR völkerrechtlich nicht anerkannte, wurde der Verkehr nach Westberlin durch die DDR lange als „Interzonenverkehr“ bezeichnet.

Der Interzonenverkehr in den 50er und 60er Jahren

Der Interzonenverkehr hatte bis auf ein Abkommen für die Sicherheit von Personen und Waren von 1951 keine konkreten rechtlichen Festlegungen. Während der Militärtransit der Alliierten relativ reibungslos ablief, mussten die Bürger der BRD auf dem Weg durch die DDR zahlreiche Einschränkungen in Kauf nehmen. Ob Zugkontrollen oder Straßenposten, an den Übergängen waren stundenlanges Warten und schikanöse Behinderungen Gang und Gäbe – je nach politischer Großwetterlage. Keiner wusste vorher, wie lange seine Reise dauern wird. Zudem waren nur ein gutes Dutzend Transitzüge am Tag erlaubt und ab 1951 Straßennutzungsgebühren von 8 bis 50 DM fällig. Die Straßen jedoch war in einem schlechten Zustand und gespickt mit Geschwindigkeitsbegrenzungen. Wer ein Flugticket bezahlen konnte, bevorzugte im Zweifel den Luftweg.

Nachdem die DDR am 26. Mai 1952 die „Befestigung“ ihrer Westgrenze zur BRD beschloss wurde auf 1.381 Kilometer eine 5 Kilometer breite Sperrzone angelegt. Damit sollte vor allem der Exodus von Menschen und damit Fachpersonal gen Westen gestoppt werden. Doch für den Interzonenverkehr hieß das: noch weniger Übergänge. Als die DDR 1955 gegenüber der UdSSR offiziell souverän wurde, übernahm sie die Grenzkontrollen unter Eigenregie in deren „Auftrag“. Mit dem Mauerbau 1961 wurden auch die noch offenen Grenzen in Berlin abgeschafft und die Reisemöglichkeiten in beiden Richtungen massiv eingeschränkt. Der Transitverkehr kam zwar nicht zum Erliegen, aber die Störungen bei der Durchreise vergrößerten sich für die BRD-Bürger. Im Juni 1968 erhob die DDR eine Pass- und Visapflicht mit Visagebühren für Personen und „Steuerausgleichsabgaben“ für Güter. Bei damals 8 Mio. „Landreisenden“, davon 1 Mio. per Eisenbahn, und einer Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren 1970 war der „Transitverkehr“ eine wichtige Devisen-Quelle für die DDR.

Transiteinreise in  Berlin-Drewitz 1986

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Vier-Mächte-Abkommen über Berlin und Transitabkommen 1971

Erst mit der Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt gelang es, den Reiseverkehr zwischen beiden deutschen Staaten zu erleichtern. Und diese Erleichterungen waren schließlich Vorboten einer generellen politischen Annäherung zwischen beiden deutschen Staaten, die 1972 im Grundlagenvertrag zwischen DDR und BRD mündete. Brandt selbst war fast zehn Jahre lang Regierender Bürgermeister von Westberlin und initiierte 1970 Verhandlungen zwischen den früheren Kriegsalliierten, um den Status der geteilten Stadt endlich zu regeln. Durch diese kam es im Herbst 1971 zum Vier-Mächte-Abkommen, in dem die UdSSR einen ungehinderten Transitverkehr nach Westberlin garantierte.

DDR-Visum

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Noch im selben Jahr verhandelten die beiden deutschen Staaten weitere Einzelheiten und unterschrieben schließlich ein „Transitabkommen“. Die DDR veranlasste ab Ostern 1972 die Visaerteilung direkt am Auto bzw. im Bus oder in der Bahn und das Ende von Durchsuchungen ohne konkreten Verdacht. Die Güter auf Lastwagen sollten soweit es ging verplombt werden, damit eine umfangreiche Kontrolle unnötig würde. Beim Zugverkehr sollten zeitsparende Kontrollen während der Fahrt und weitere Verbindungen entsprechend der Nachfrage ermöglicht werden. Insbesondere für den Autoverkehr wurden nun offizielle „Transitstrecken“ zwischen der BRD und Westberlin eingerichtet. Das waren zunächst drei, später vier Autobahnen, die von den Autofahrern zwar genutzt, aber nicht verlassen werden durften.

Einreise-Stempel der DDR

Vier Transitautobahnen verbanden bis 1989 die BRD mit Westberlin

  • A 2 (Köln – Helmstedt/Marienborn – Drewitz/Berlin)
  • A 4 (Frankfurt/Main – Herleshausen/Wartha – A 9 – Drewitz/Berlin)
  • A 9 (München – Rudolphstein/Hirschberg – Drewitz/Berlin)
  • A 24 (Hamburg – Gudow/Zarrentin – Stolpe/Berlin)
    ab 1982, ersetzte den Transit über die Fernverkehrsstraße 5 zwischen Hamburg und Berlin

Für die Überwachung der Einhaltung des Transitabkommens wurde eine „Transitkommission“ eingesetzt, zu der beide deutschen Staaten jeweils fünf Mitglieder entsandten. Hier wurden Beschwerden von Transitreisenden, Verhaftungen, Sperrungen aber auch Fluchtversuche besprochen. Überwacht wurden die Transitstrecken, insbesondere die Straßen, direkt durch das Ministerium für Staatssicherheit. Ständig fuhren deren Fahrzeuge auf den entsprechenden Autobahnabschnitten Patrouille, zum Teil sogar in Autos mit Westkennzeichen. Unerlaubtes Verlassen der Autobahn ohne ernsthaften Grund wie Krankheit oder Unfall führte zur Verhaftung. Ein auch nur geringfügiges Überschreiten der Geschwindigkeitsbegrenzung von DDR-weit 100 km/h wurde mit empfindlichen Geldstrafen geahndet. Über Bußgelder nahm die DDR-Polizei jährlich bis zu 7 Mio. DM ein, die fest im Volkswirtschaftsplan verankert waren.

Ortseingangsschild am Grenzübergang von der Transitstrecke der DDR nach West-Berlin

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Finanzielle Aspekte der Transitstrecken

Für das Entgegenkommen beim Transitverkehr ließ sich die DDR erheblich „entschädigen“. Sie sollte auf Wunsch der BRD Straßenbenutzungsgebühren, Steuerausgleichsabgaben und Visagebühren abschaffen, um die Westdeutschen beim Transit zu entlasten. Im Gegenzug einigte man sich auf eine jährliche „Transitpauschale“ von anfangs 235 Mio. DM  im Jahre 1972. Diese Summe stieg von Jahr zu Jahr auf zuletzt 890 Mio. DM (1990). Insgesamt verbuchte die DDR bis 1990 etwa 7,8 Mrd. DM durch der Transitpauschale. Zusätzlich einigte man sich auf Zahlungen zum Erhalt von Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserstraßen, die für den Transfer von Waren und Personen zwischen der BRD und Westberlin elementar notwendig waren. Die DDR-Regierung hätte weder das nötige Geld noch das gesteigerte Interesse für den Ausbau dieser Strecken gehabt – da war sie „geschäftstüchtig“. So zahlte die Bundesregierung hohe Summen für den Ausbau bzw. die Erneuerung der heutigen Autobahnen A 2 (Helmstedt-Berlin), A 4 (Eisenach-Wartha) und A 9 (Triptis-Hirschberg). Allein für die direkte Verbindung zwischen Hamburg und Berlin über die A 24 überwies sie 1,2 Mrd. DM. Der Transitverkehr kostete die BRD etwa 10 Mrd. DM – dafür rückten die Westberliner näher an die BRD.

Zeitstrahl

30.6.1946 Der Interzonenpass wird eingeführt und ermöglicht ein eingeschränktes Überschreiten der Zonengrenzen.
23.7.1946 Der Interzonenpass wird in der Bizone abgeschafft, 1948 auch in der Trizone.
1951 Einführung von Straßennutzungsgebühren in der DDR für Fahrzeuge zwischen Westberlin und der BRD
26.5.1952  Der DDR-Ministerrat beschließt die völlige Abriegelung der Grenze zur BRD. Entlang der 1.381 km langen Grenze wird eine 5 km tiefe Sperrzone angelegt, die nur mit Sondergenehmigung betreten werden darf.
November 1953 Abschaffung des Interzonen-Passzwangs zwischen den beiden deutschen Staaten. Seitens der BRD keine Beschränkungen der Grenzpassage. Die Einreise in die DDR erfordert jedoch weiterhin eine Aufenthaltsgenehmigung. 
April 1958 Einführung eines Wasserstraßenzolls für die Binnenschifffahrt von und nach Westberlin
13.8.1961  Mauerbau
13.4.1968 DDR-Regierung untersagt Ministern und Beamten der BRD den Transit durch die DDR nach Westberlin. Diese können nur noch über den Luftweg nach Westberlin einreisen.
11.6.1968 Einführung der Pass- und Visapflicht im Reise- und Transitverkehr zwischen der BRD und Westberlin. 
17.12.1971 Egon Bahr und Michael Kohl unterzeichnen das Transitabkommen zwischen der BRD und der DDR zur Regelung eines sicheren und zügigen Reiseverkehrs nach und von Berlin-West. Es ist der erste deutsch-deutsche Staatsvertrag überhaupt, der auf Regierungsebene ausgehandelt wurde. Es kommt zu erheblichen Erleichterungen im Transitverkehr zwischen der BRD und Westberlin.
21.12.1972 Unterzeichnung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR (Grundlagenvertrag).
19.12.1975 Übereinkunft mit der DDR über die Erneuerung der Autobahn zwischen Berlin und Marienborn (heutige A2) und Neufestlegung der Transitpauschale, die von der BRD an die DDR gezahlt wird. 
16.11.1978 Abschluss der Verhandlungen mit der DDR über Verkehrsfragen und den Ausbau der Autobahn Berlin-Hamburg. Die BRD zahlt das DDR-Teilstück vom Dreieck Wittstock bis zur Grenze. Eröffnung: 1982. Kosten: 1,2 Mio. DM.
10.4.1983 Ein westdeutscher Reisender stirbt bei Kontrollen an der innerdeutschen Grenze an einem Herzversagen. Nach Protesten der Öffentlichkeit und der Bundesregierung werden die Grenzkontrollen durch die DDR entschärft. 
9.11.1989 Fall der Berliner Mauer
1.1.1990 Aufhebung der Transitvisa und der Visagebühren für Transitreisende
1.7.1990 Aufhebung der Grenzkontrollen an der innerdeutschen Grenze

 

Zusatzinformationen

Begriffe und Namen

GÜSt

Grenzübergangsstellen, bis 1964 Kontrollpassierpunkte. Hier kontrollierten bis 1964 die Grenzpolizei bzw. die Grenztruppen der DDR und ab 1964 die sogenannten Passkontrolleinheiten (PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Zudem wurden Beamte der Zollverwaltung der DDR für die Zollkontrollen eingesetzt. Die Grenztruppen der DDR sicherten das Gelände. Die PKE des MfS trugen zur Tarnung Uniformen der Grenztruppen. Die größte GÜSt mit dem höchsten Verkehrsaufkommen war die GÜSt Marienborn – an ihr waren zeitweise 1.000 Bedienstete in der Grenzkontrolle tätig. 1982 gab es an der innerdeutschen Grenze neun Straßen-GÜSt, sieben Eisenbahn-GÜSt und zwei Wasser-GÜSt.

Begrüßungsgeld

Im Jahre 1970 wurde das sogenannte Begrüßungsgeld durch die Bundesrepublik für Bürger der DDR sowie der VR Polen, sofern sie deutsche Abstammung nachweisen konnten, eingeführt. Hintergrund war, dass DDR-Bürger bei Reisen in die BRD nur 70 DDR-Mark mitnehmen durften, was jedoch im Umtausch zur D-Mark als Zahlungsmittel so gut wie wertlos war. Zunächst in einer Höhe von 30 DM pro Reise ausgezahlt, wurde das Begrüßungsgeld später auf 100 DM erhöht – jedoch nur noch einmal pro Jahr und pro Person gezahlt. Zur Erlangung des Begrüßungsgeldes wurden in den Banken und Sparkassen der BRD die entsprechenden Personendaten der DDR-Bürger aufgenommen. Ab Mitte der 80er Jahre nutzten mehr als 1 Mio. DDR-Bürger bei Reisen in den Westen dieses Geldgeschenk.

Ausreisegenehmigung

In den 50er Jahren waren Reisen von DDR-Bürgern in den Westen noch relativ einfach mit einer Ausreisegenehmigung möglich. Nach dem Mauerbau 1961 wurde dies fast unmöglich. Nun mussten sogenannte Reiseanträge gestellt werden, die insbesondere für Privatpersonen mit einfachen persönlichen Reisegründen kaum genehmigt wurden. Die DDR-Regierung befürchtete weitere Fluchtversuche eigener Bürger, die bis 1961 enorme Ausmaße angenommen hatte – über 2,5 Mio. Bürger hatten die DDR seit ihrer Gründung verlassen. Die Reisepolitik der DDR-Staatsführung war sehr restriktiv und wurde auch politisch genutzt. Antragsteller wurden auf politische Zuverlässigkeit und eventuelle westliche Verwandtschaft überprüft, wobei es insbesondere Künstler und Wissenschaftler etwas leichter hatten. Nicht selten wurden Ausreisegenehmigungen auch als Anreize oder Belohnungen bewusst eingesetzt. Mit der Anerkennung der DDR und durch die Entspannungspolitik der BRD konnten vermehrt Privatpersonen in die BRD reisen,  zumeist Rentner, deren Anträge nun oftmals bewilligt wurden. Ausreisegenehmigungen sind nicht zu verwechseln mit Ausreiseanträgen, die ein dauerhaftes Verlassen der DDR zum Ziel hatten und  oftmals mit vollkommener gesellschaftlicher Stigmatisierung der Antragsteller bis zur abschließenden Entscheidung einhergingen.

Abbildungen

Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:DDR_Transit041.jpg
Stand: April 1982
Transitstrecken nach Westberlin sind gelb

Literatur

Hans-Dieter Behrendt: Guten Tag, Passkontrolle der DDR. Schkeuditz, 2008.

Friedrich Christian Delius/Peter Joachim Lapp: Transit Westberlin. Erlebnisse im Zwischenraum. Berlin, 1999.

Heinrich Potthoff: Im Schatten der Mauer. Deutschlandpolitik 1961 bis 1990.Berlin, 1999.

Hendrik Thoß: Gesichert in den Untergang. Die Geschichte der DDR-Westgrenze. Berlin, 2004.

Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Grenz-Erfahrungen. Ein Lesebuch. Dresden, 2002.

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